Landwirte an der 110kV-Leitung Ried-Raab kämpfen weiter
Nach 20 Jahren Kampf um‘s Erdkabel stehen inzwischen die ersten Strommasten. 60 von insgesamt 83 betroffenen Grundeigentümern wurden für den Bau der Freileitung Ried-Raab im Rahmen eines Zwangsrechtsverfahrens enteignet.
Die Landwirte haben sich nie gegen eine nachhaltige Stromversorgung gestellt, sie wollen aufzeigen, dass so eine Leitung unter die Erde gehört. Dafür hätten sie ihren Grund natürlich zur Verfügung gestellt!
Markus Helml aus Peterskirchen, ein Mitstreiter der ersten Stunde, hat sich enteignen lassen, wir haben ihn befragt.
Markus, was ist dein vorrangiges Motiv, weshalb du diese Hochspannungs-Freileitung bekämpfst und in letzter Konsequenz eine Zwangseinräumung von Dienstbarkeiten, landläufig eine „Enteignung“, in Kauf genommen hast.
Markus: „Für mich steht der Erhalt der Natur und des Lebensraumes für meine Kinder und die nächsten Generationen im Vordergrund. Bei einer 110 kV Freileitung ist die gesundheitliche Belastung um ein Vielfaches höher als bei einem Erdkabel.
Ich möchte gegenüber meinen Kindern mit gutem Gewissen sagen können, alles für eine sinnvolle und zukunftsorientierte Stromversorgung unternommen zu haben, also für ein Erdkabel! Ob´s dann gereicht hat, wird man erst sehen.
Den Politkern, Wirtschaftsbossen und Lobbyisten sollte bewusst werden, dass wir alle nur zu Gast auf Erden sind und Verantwortung für unsere Kinder und die folgenden Generationen tragen!“
Wie weit sind derzeit die Bauarbeiten für die Freileitung fortgeschritten? Seht ihr noch die Chance auf ein Erdkabel, bzw. sind Rechtsmittel noch möglich?
Markus: „Der Mast auf meinem Grundstück ist fertig gestellt. Derzeit ist ca. 1/3 der 78 Masten fertig gestellt. Die Energie AG baut auf eigenes Risiko, bzw. auch, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Wohlgemerkt - mit voller Unterstützung des Mehrheitseigentümers - des Landes OÖ!
Wir warten seit Dezember 2019 auf die Entscheidung des Höchstgerichtes.
Warum: Wir sind der Meinung, dass die Enteignung für eine Freileitung rechtlich nicht hält.
Hier der Auszug aus dem Gesetzestext: Es muss unmöglich sein, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine Enteignung denkbar.
Unser Argument: Mit einem Erdkabel ist ohne Enteignung der Strombedarf zu decken.
Zum Zweiten wurde keine strategische Umweltprüfung (SUP) durchgeführt, wie es die EU-Richtlinie vorgibt. Im Gegensatz zur Salzburgleitung war das Projekt Ried-Raab nicht UVP-pflichtig, da die Schwellenwerte unterschritten wurden. Somit gibt es hier einen anderen rechtlichen Kontext als bei der Salzburgleitung. Auch hier warten wir auf die Entscheidung des Höchstgerichtes.“
Netz OÖ – Konzernsprecher Denk hatte Medien gegenüber geäußert, dass die Entschädigungen bei Zwangsrechtsverfahren deutlich geringer seien als bei einem einvernehmlichen Dienstbarkeitsvertrag, zudem würden Grundbesitzer einige Vorteile verlieren. Was sind dazu deine Erfahrungen?
Versagt hier der Rechtsstaat, wenn enteignete Grundeigentümer von den Behörden nachteiliger behandelt werden als jene, die die Dienstbarkeitsverträge freiwillig unterschreiben? Könnte sich möglicherweise langfristig eine Enteignung als günstiger darstellen?
Markus: „Die Höhe der Entschädigungssumme hat für mich und viele andere Grundeigentümer bei den Überlegungen, zu unterschreiben oder nicht, absolut keine Rolle gespielt. Damals war uns allen bewusst, dass wir mit dem Schritt, nicht zu unterschreiben wohl eine geringere Entschädigung bekommen könnten.
Die Aussagen, dass die Entschädigungen für jene deutlich geringer seien, die nicht freiwillig unterschreiben, wurden vermutlich als Einschüchterungstaktik gewählt. Und es hat ja so Jahrzehnte gut funktioniert…..
Mich würde sehr interessieren, was Konzernsprecher Denk denkt, bevor er so spricht.
Warum ist das so: Bei einer einvernehmlichen Einigung wird ein breiterer Servitutstreifen unter der Leitung in Anspruch genommen. Bei einer Enteignung wird der Servitutstreifen auf das gesetzliche Mindestmaß reduziert. Dadurch ist weniger Fläche betroffen und das Grundstück geringer belastet. Bei mir waren dies ca. 15% weniger Flächeninanspruchnahme. Die Entschädigungssumme pro m² umgerechnet war bei der Enteignung sogar marginal höher als bei einer gütlichen Einigung.
Im Zuge der von Energie AG und Landwirtschaftskammer OÖ ausverhandelten Optionsverträge wird von einem Auffangnetz für uns Landwirte gesprochen. Ich bin mir aber nicht so sicher, für wen das Auffangnetz wirklich gedacht ist.
Um die Kostenwahrheit dieser 110 kV Freileitung auf den Tisch zu bekommen, haben wir 57 Klagen über den Prozessfinanzierer AdvoFin eingebracht. Der vom Landesgericht Ried bestellte Gutachter stellte nun die 3-fache Entschädigungssumme gegenüber dem Gutachter, welcher von der Behörde bestellt wurde, fest. Oder anders gesagt: Der erste Gutachter hat nur 1/3 des jetzigen Betrages für den Grundeigentümer errechnet.
Was ist davon zu halten ?
Aus meiner Erfahrung habe ich in punkto Rechte mehr Vorteile, wenn ich nicht unterschreibe.
Warum ist das so: Naja, wer sich für eine „gütliche Einigung“ (= freiwillig unterschreiben, wie es so schön heißt) entscheidet stimmt zu, dass er eine vertraglich festgesetzte Summe an Geld mit dem dazugehörigen vertraglichen Regelwerk bekommt. Sollte er zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. bei Problemen in der Bauphase) anderer Meinung sein, wird er da wenig bewirken können, es gibt ja einen gültigen Vertrag.
Bei einer Enteignung habe ich rechtlich immer die Möglichkeit, gegen dieses und jenes Einspruch zu erheben. Ich habe ja zu keiner Zeit zu irgendetwas zugestimmt. Bei uns war der Baustart im Juni 2020. Ich und weitere Grundeigentümer konnten dazu schon mehrere positive Erfahrungen sammeln.“
Nun würde es im Einflussbereich der politischen Verantwortlichen von Bund und Ländern liegen, dass durch entsprechende Gesetzesänderungen im Stromtransport endlich auch in (Ober)Österreich die technischen Errungenschaften zwingend Vorrang erhalten. Auch die berechtigten Anliegen der Grundeigentümer und Anrainer müssen zum öffentlichen Interesse zählen.
Warum unternimmt die Oö. Landesregierung, vertreten durch den Landeshauptmann, hier offensichtlich seit Jahrzehnten nichts?
Wo siehst du dringenden Handlungsbedarf?
Markus: „Warum die OÖ Landesregierung als Mehrheitseigentümer dieser Aktiengesellschaft mit seinen weisungsgebundenen Beamten eine Massenenteignung exekutieren lässt, anstatt wie in den Bundesländern Salzburg oder Kärnten neue 110 kV Leitungen zu verkabeln, kann ich nicht verstehen und daher nicht beantworten.
Das muss man den Herrn Landeshauptmann Stelzer wohl selbst fragen.
Die Bürger dieses Landes haben ein Interesse an einer ordentlichen, sicheren und möglichst nachhaltigen Stromversorgung, aber sicher nicht an einer Freileitung. Das Land als Gesetzgeber verharrt hier gegen die eigene Bevölkerung auf einem Gesetz, das 1938 in Kraft getreten ist. In dieser Zeit gab es keine Alternative zur Freileitung.
Die Landesregierung hat schon zweimal eine Novellierung zu diesem Gesetz abgelehnt, obwohl sich auch vor der letzten Landtagswahl Landtagsabgeordnete aller Fraktionen öffentlich bei uns dafür ausgesprochen haben. So braucht im „Land der Möglichkeiten“ die Netz OÖ nur den Antrag für eine Freileitung zu stellen, und die Behörde (des Hauptaktionärs) hat nach §7 ElWOG dies zu genehmigen, wenn dadurch die Stromversorgung der Bevölkerung nicht verhindert (!) wird. Wir müssen hoffen, dass sich auf Bundesebene dazu früher etwas bewegt als im Land OÖ. Hier ist der Handlungsbedarf über-überfällig!“
Die Landwirtschaftskammer als bäuerliche Interessenvertretung verhandelt mit den Energieversorgern bzw. Netzbetreibern die Rahmenvereinbarungen für die Stromleitungen.
Kann sie sich in dieser Problematik interessenpolitisch nicht oder zu wenig durchsetzen?
Immerhin gibt es in den meisten betroffenen Regionen zum Teil massiven Widerstand der Grundeigentümer gegen diese Hochspannungs-Freileitungen.
Welche Baustellen müsste aus deiner Sicht die Standesvertretung dringend angehen?
Was wurde bisher nicht oder zu wenig angegangen?
Markus: „Wie soll sich eine Interessenvertretung gegen das Land OÖ durchsetzen, welches nicht nur die Landwirtschaftskammer maßgeblich finanziert, sondern auch Hauptaktionär der Energie AG ist? Um unabhängig zu sein, haben wir eine Schutzgemeinschaft - jetzt FAIRKABELN Innviertel - gegründet.
Aber eigentlich wäre / ist es ganz einfach: Bei uns haben 100% der Grundeigentümer ihren Grund für eine Verkabelung angeboten. Da hätte die Kammer wenigstens auf Rahmenverhandlungen für ein Erdkabel bestehen müssen, und zwar zu 100%!“
Es ist sehr schwierig, die Zivilgesellschaft allgemein zu diesem Thema anzusprechen. Hochspannungsleitungen werden zwar als überaus hässlich und als Landschaftsverschandelung wahrgenommen, jedoch müssen verhältnismäßig wenig Menschen für dieses sogenannte „öffentliche Interesse“ als Anrainer herhalten.
Was ist diesbezüglich dein Anliegen an die Zivilgesellschaft?
Markus: „Alle Bürger sind von diesen „DENKmälern“, die gerade errichtet werden betroffen - und das auf Generationen. Solidarität ist derzeit ein wahrscheinlich überstrapazierter Begriff, jedoch werden wir die meisten Probleme als Gesellschaft nur gemeinsam bewältigen können. Wenn sich jemand einmal unser Land ohne Hochspannungs-Freileitungen vorstellt, ist er / sie sicher für Verkabelung! Und würde einmal Kostenwahrheit betrachtet, also Gesamtkosten auf Betriebsdauer berücksichtigt, und nicht nur die Errichtungskosten durch die EAG, dann ist es auch wirtschaftlich notwendig. In Städten sind sie ohnehin fast immer verkabelt. Bei den zunehmenden Wetterextremen ist eine Verkabelung für die Stromversorgung sicherer und nachhaltiger, da sie weniger Leitungsverluste hat.“
Danke Markus für deine offenen Worte!
Zur Information die zuletzt einstimmig beschlossene Resolution der bäuerlichen Standesvertretung in OÖ...